„Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt. Sieh sie dir an.“ (Kurt Tucholsky)

Der jüngste Trend zum Verlieben: Wandern und baggern
Wer auf der Suche nach einer Partnerschaft ist, tut sich oftmals schwer. Manche suchen ihr Glückbei einem gemeinsamen Marsch in der Natur. Worin der Vorteil darin liegt
Michael aus Hanau möchte in Gesellschaft durch den Wald laufen, Simone aus Oestrich-Winkel ist vor allem neugierig auf die anderen Leute. Und der Frankfurter Jan hat beim Wandern mit anderen Singles viel bessere Erfahrungen gemacht als beim Dating im Internet. Die drei gehören zu rund 20 Singles, die sich in Darmstadt zu einer Abendwanderung angemeldet haben. Organisiert wird die etwa neun Kilometer lange Tour mit Ausklang in einem Lokal von einer Wander-Datingagentur.
Die Teilnehmer sind zwischen 35 und 55 Jahre alt, zur Hälfte Männer und Frauen. Peter aus Darmstadt ist schon zum vierten Mal dabei und hat „jedes Mal eine gute Bekanntschaft gemacht“. Die große Liebe sei zwar noch nicht dabei gewesen, aber es hätten sich immer schöne Kontakte ergeben, sagt der 43-Jährige. „Wenn der Funke überspringt, ist es schön, aber man muss nichts erzwingen.“ Rita, die in Wiesbaden bei den US-Streitkräften beschäftigt ist, sieht das ähnlich: „Ich gehe gerne raus in die Natur und freue mich, Leute kennenzulernen. Wenn sich was ergeben sollte, wäre das noch ein schönes Add-on (Zusatz).“
„Dating-Plattformen wie „Single-Wandern“, „Single-Sport“ oder „Single-Spiele“ sind deshalb erfolgreich, weil sie eine unverfängliche Kontaktaufnahme ermöglichen“, sagt der Psychologe Werner Gross. „Man lernt sich beim Wandern, Spielen oder Sporttreiben unverbindlich kennen.“ Nicht Beziehungssuche stehe im Vordergrund, sondern Aktivität. „Wenn daraus eine Paarbeziehung wird – wunderbar. Wenn nicht, kann man sich ohne Gesichtsverlust entweder zurückziehen oder im Sinne einer guten Freundschaft weiter gemeinsam aktiv sein.“
Ein anderer Vorteil sei es, nicht flunkern oder sich aufbrezeln zu müssen wie für die Selbstdarstellung auf einer Internet-Plattform, sagt der Psychologe. Ob sich nach einer Wanderung ein Paar findet, und wie lange es zusammenbleibt, erfährt Tourenplaner Eckhard Linner nur selten. Seit etwa drei Jahren betreibt er „Wanderdate“ in Groß-Gerau, mit bis zu zehn Wanderungen im Monat. „Manchmal kommt eine Karte: Wir sind jetzt schon ein Jahr zusammen.“ Ein Paar habe im vergangenen Jahr sogar geheiratet.
Dabei ist der 51-Jährige selbst seine beste Werbung: Vor rund zwei Jahren verliebte er sich auf einer Wanderung in eine Teilnehmerin: Claudia aus Mainz. Seither sind die beiden ein Paar. „Ich habe auch meine besten Freundinnen hier kennengelernt“, erzählt Claudia, eine 53 Jahre alte Verwaltungsleiterin. Die Agentur bietet Wanderungen im Raum Koblenz-Heidelberg an. Die Zielgruppe ist zwischen 20 und 69 Jahren alt. Er habe einige tausend Teilnehmer, sagt Linner. Schon vor zehn Jahren gründeten Karin Zörrer-Zeiner und ihr Mann in Österreich das Unternehmen „SingleWandern“. Auch sie haben sich beim Wandern kennengelernt. In Deutschland bieten sie ausschließlich Touren in Bayern an. „Alle sind Singles, alle sitzen im gleichen Boot“, sagt Zörrer-Zeiner. Rund 26 000 Menschen hätten sich inzwischen bei „SingleWandern“ registriert. Manche laufen öfter mit, manche nur einmal. Und es werden mehr: „Es gibt immer mehr Singles, und die Suche nach einem Partner ist nicht einfach“, sagt Zörrer-Zeiner. Beim gemeinsamen Wandern wachse bei vielen das Selbstwertgefühl wieder. Jan wandert mindestens schon zum achten Mal bei „Wanderdate“ in Rhein-Main mit. Einmal hat er „eine tolle Frau“ kennengelernt. „Das hat aber nur vier Monate gehalten“, sagt der 36-Jährige. Ihm gefällt vor allem die Ungezwungenheit bei den Wanderungen. „Man unterhält sich über Gott und die Welt – und wenn sich was ergibt, ist es schön.“ (dpa)

Artikel ergopraxis 2013 Thieme Verlag
Essstörungen bezwingen - wie einen Berg
Zunächst war es nur ein Bild, das die Therapeuten der Danuvius-Klinik Ingolstadt gerne verwendeten: Eine Bergtour als Symbol für die manchmal recht schwierige und für alle Beteiligten anstrengende Therapie von Essstörungen. Hier wie dort muss man sich die Kräfte einteilen, darf den rechten Weg nicht aus den Augen verlieren, ist stolz und erleichtert, wenn man das Ziel erreicht und den Gipfel erklommen hat. Warum nicht wirklich eine Bergtour wagen? fragten sich die Therapeuten, und so entstand im Jahr 2010 das ökotherapeutische Projekt "Über´n Berg", das seither einmal im Jahr stattfindet. In der Fachzeitschrift ergopraxis (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2013) berichten Susanna Stich-Bender, die die Tour als Therapeutin begleitete, und Karen Silvester, die bis vor Kurzem den Fachbereich Essstörungen an der Danuvius-Klinik leitete, über die Erfahrungen mit dieser außergewöhnlichen Therapie.
Fünf Frauen und ein Mann sind es, die sich im Sommer 2012 auf eine viertätige Wandertour in den Alpen begeben. Doch was nach Freizeitvergnügen klingt, ist tatsächlich harte therapeutische Arbeit. Denn sämtliche Teilnehmer leiden oder litten unter einer Essstörung und befinden sich kurz vor dem Abschluss der aktuellen Therapie. Die Gruppe wird von der Dramatherapeutin mit Zusatzqualifikation in Ökotherapie Susanna Stich-Bender und einer Bergführerin begleitet. "Während der Tour durchlaufen die Teilnehmer einen therapeutischen Prozess, um auch im übertragenen Sinne über den Berg zu kommen", erläutert Stich-Bender das Konzept. Die enge Verbindung zur Natur könne außerdem Stärken reaktivieren und neues Selbstbewusstsein schaffen.
Zur Planung und Organisation einer solchen Tour gehört es gerade bei Teilnehmern mit Essstörungen auch, die Klienten physisch und mental auf die Anstrengung vorzubereiten. Die Therapeuten und Pädagogen des gemeinnützigen Vereins Danu e.V., der die Trägerschaft des Projekts übernommen hatte, begleiteten die Gruppe im Vorfeld auf Probetouren und leichten Wanderungen, sowie bei einem Besuch im Hochseilgarten. "So konnten wir sehen, wie sich die Gruppe einspielte, welche Themen für sie wichtig waren und welche Dynamik entstand", sagt Susanna Stich-Bender.
Dennoch bleiben Konflikte bei einem intensiven Gruppenerlebnis nicht aus. So paradox dies klingen mag: Auch dies ist ganz im Sinne der Therapie. Denn Patienten mit Essstörungen sind häufig nur wenig konfliktfähig. Anstatt Probleme offen anzusprechen, tragen sie sie "auf dem Teller" aus - durch Nahrungsverweigerung oder übermäßiges Essen. Durch die vielen Gespräche in der Gruppe und die gezielte Moderation der Therapeutin gelang es den Teilnehmern im Verlauf der Wanderung immer besser, Probleme zu verbalisieren und Konflikte auszutragen. Wichtig sei es aber auch, betont Stich-Bender, dass das intensive Beisammensein mit stillen Phasen der Selbstreflexion abwechsle.
So anstrengend die stete Auseinandersetzung mit anderen sein kann - die Gruppe bietet auch Schutz und Geborgenheit. Auch diese Erfahrung nehmen die Teilnehmer von ihrem Abenteuer mit. "Eine solche Tour bietet eine wunderbare Möglichkeit, Ängste zu überwinden, die Konfliktfähigkeit zu schulen und eingeschliffene Verhaltensmuster abzulegen", resümiert Susanna Stich-Bender. Nicht zuletzt aber gehe es bei dieser Therapieform auch darum, wieder Freude empfinden und das Hier und Jetzt genießen zu können.
K. Silvester und S. Stich-Bender: Über´n Berg
ergopraxis 2013; 6 (7/8); S. 18-21

Der Körper des Menschen ist dafür gemacht, zu gehen: Ursprünglich waren für unsere Vorfahren tägliche, lange Fußmärsche an der Tagesordnung. Es wurde gejagt oder zu einem anderen Ort weitergezogen. Im Laufe der Zeit änderte sich unser Bewegungsverhalten grundlegend mit Erfindung von Transportmitteln, wie Kutsche, Schiff, Eisenbahn und Auto.
Wir müssen nun nicht mehr alle Wege zu Fuß bewältigen, können Reisen und unseren Bewegungsradius erweitern. Schließlich haben wir das Wandern – das Bewegen zu Fuß – als bewusst geplantes Naturerlebnis für uns wiederentdeckt. Aus einer Pflicht wurde die Lust am Gehen und Laufen. 1869 wurde der Deutsche Alpenverein (DAV) gegründet. Der DAV ist der weltgrößte Bergsportverband und zählt über 1,3 Millionen Mitglieder. Jeder Dritte Deutsche geht zumindest ab und zu Wandern.
Wandern – das bringt es
Beim Wandern wird der ganze Körper trainiert, je nach Gelände reicht die Intensität von einem sanften Ausdauertraining bis zu einer intensiven Kraftausdauereinheit. Wandern verbessert die Kondition und stärkt alle großen Muskelgruppen – vor allem in Beinen, Po und Rücken. Zudem wirkt sich Wandern positiv auf die Psyche aus, verbessert die Konzentration und reduziert die Stressanfälligkeit.
Je nach Intensität der Wanderung und abhängig vom Körpergewicht verbrennt man beim Wandern bis zu 600 kcal in der Stunde. Daher unterstützt Wandern beim Abnehmen auf sanfte und nachhaltige Weise.
Für wen eignet sich Wandern?
Nicht umsonst gilt Wandern als Volkssport – jeder kann es tun! Wandern für Anfänger ist ebenso sinnvoll wie für Geübte. Trotzdem ist es immer ratsam, vor dem Beginn regelmäßiger Wandertouren einen Arzt zu konsultieren, der den aktuellen Gesundheits- und Trainingszustand bewertet. Das gilt im Besonderen für Menschen mit Vorerkrankungen.
Besonders gut eignet sich Wandern als Sportart bei folgenden Krankheitsbildern:
Dass Wandern Gesundheit und Wohlbefinden steigert, zeigen zahlreiche Studien. Wandern eignet sich in besonderem Maß für übergewichtige Menschen, da es in der Intensität sehr gut dosierbar ist und auf ebenen Wegen die Gelenke schont. Geht es steiler bergab oder bergauf, kräftigt das Bein- und Po-Muskeln zusätzlich.
Einsteiger können Wanderstöcke verwenden, um die Gelenke zu entlasten und sich sicherer zu fühlen. Für stark Übergewichtige reichen schon kurze Touren von 30 Minuten bis zu einer Stunde in der Ebene, um die Kondition zu verbessern und die Fettverbrennung in Gang zu bringen. Steigern Sie die Belastung langsam und stetig und kombinieren Sie das Wandern mit einer gesunden Ernährung, dann kommen Sie mit Sicherheit zum Erfolg.
Regelmäßiges, moderates Wandern kann helfen, den Bluthochdruck zu senken. Das ergaben zahlreiche Studien. „Forschungsergebnisse legen nahe, dass sich mit Wandern sehr positive Effekte erzielen lassen“, so der Kardiologe Dr. Frank Sonntag vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. Als Beispiele nennt er positive Effekte des Wanderns auf die Blutgefäßinnenwände und eine vermehrte Bildung zusätzlicher Blutgefäße.
Auch um Herzerkrankungen vorzubeugen, eignet sich Wandern laut einer US-Studie: Wer mehr als vier Stunden pro Woche wandert, senkt sein Risiko Herzerkrankungen zu erleiden deutlich, so das Ergebnis. Allerdings sollten Herzpatienten nicht über eine Höhe von 1500 Metern gehen, da dort die Luft dünner ist, der Blutdruck ansteigt und diese Belastung zu anstrengend werden kann.
Wandern kann psychischen Erkrankungen, besonders wenn diese stressbedingt sind, vorbeugen und lindern. Bereits ein 90-minütiger Spaziergang in der Natur senkt das Risiko, psychisch krank zu werden. Als eine mögliche Begründung nahmen die Forscher an, dass die Kombination aus regelmäßiger Bewegung und der Naturwahrnehmung beim Wandern unserer Psyche guttut.
Berwandern ist auch in der Schwangerschaft erlaubt, denn es steigert auf sanfte Weise die Kondition, schont dabei die Gelenke und hilft, nicht zu sehr zuzunehmen. Sprechen Sie aber unbedingt mit Ihrem Arzt, bevor Sie wandern gehen, er sagt Ihnen, wie lange und intensiv Sie unterwegs sein dürfen und was sonst noch zu beachten ist.
So empfehlen Experten, Höhenlagen von über 2000 Meter und extreme Höhenunterschiede beim Wandern zu vermeiden. Weil sich der Gleichgewichtssinn in der Schwangerschaft verändern kann und auch der Körperschwerpunkt mit Bauch ein anderer ist, sollten keine schmalen Pfade am Hang gegangen werden.
Auch zusätzliches Gewicht ist ungünstig, der Rucksack sollte daher daheimbleiben. In der Schwangerschaft ist außerdem ein höherer Lichtschutz angeraten und Sie sollten mehr trinken als üblich. Meiden Sie grundsätzlich gefährliche Routen, extreme Wetterbedingungen und machen Sie keine Gewaltmärsche, um sich nicht unnötigen Risiken auszusetzen.
Autoren- & Quelleninformationen
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Aktualisiert am:
2. Juni 2021
Autor:
Eva Stammberger
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Quellen:
• Anzahl der Personen in Deutschland, die in der Freizeit wandern: www.statista.com (Abruf: 24.02.2021)
• Appel, D.: Bergwandern hält fit. Verlag Süddeutsche Zeitung, 2016
• Bratman, Gregory N. et al.: Nature experience reduces rumination and subgenual prefrontal cortex activation, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, PNAS, Volume 112, No.28, 2015, Pages 8567–8572, doi: 10.1073/pnas.1510459112
• Castagne, T.: Bergwandern (Outdoor-Handbuch), Stein Verlag, 2012
• Der DAV in Zahlen: www.alpenverein.de (Abruf: 24.02.2021)
• Hudgson, M.: Wetter (Basiswissen für Draußen), Stein Verlag, 2010
• Murtagh, E. et al.: Walking – the first steps in cardiovascular desease prevention, in: Current Opinion in Cardiology, Ausgabe 25 (5), September 2010, Pages 490-496 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3098122/ (Abrufdatum 24.02.2021)
• Perwitschky, O.: Bergwandern – Bergsteigen, Bergverlag Rother, 2015

Der Tastsinn ist der erste Sinn, der sich im leben eines Menschen entwickelt und der einzige, den man nicht abschalten, nicht gänzlich unterdrücken kann. Foto: Fotolia/©Photocreo Bednarek
Das Heilsame an der Berührung ist für Mediziner und Psychologen offenkundig: Berührungen wie Streicheln führen dazu, dass sich der Herzschlag beruhigt, dass der Blutdruck sinkt und der Pegel an Stresshormonen fällt und infolgedessen das Immunsystem besser funktioniert. Menschen, für die körperliche Berührungen selbstverständlich sind, gehen aus Stresssituationen weniger angespannt heraus, sie empfinden bei Verletzungen weniger Schmerzen, haben sie Wunden, heilen diese besser. Selbst Frühgeborene profitieren von steter Berührung: Sie legen schneller an Gewicht zu, wenn sie regelmäßig massiert werden.
Die Haut ist das größte Sinnesorgan des Menschen
Physiologisch ist diese Empfindsamkeit des Menschen gut zu erklären: So ist der Berührungssinn der erste Sinn, der sich bei einem Embryo entwickelt. Er erstreckt sich über die gesamte Oberfläche des Körpers – und die macht bei einem Erwachsenen eine Fläche von knapp zwei Quadratmetern aus. Die Haut ist somit das größte Sinnesorgan des Menschen. In ihr befinden sich Millionen hochempfindlicher Sensoren, die sich immer dann melden, wenn auf der Haut etwas geschieht – ein Lufthauch am Arm, ein Schweißtropfen auf der Stirn, eine Ameise am Fuß. Die Reize werden im Gehirn erst einmal beurteilt: Wichtiges wie Schmerzen wird in die dafür zuständigen Regionen weitergeleitet, Unwichtiges wie der Druck des Shirts, das eng anliegt, wird ausgeblendet.
Woher der Körper weiß, wie er die Signale bewerten soll, verstehen Sinnesforscher noch nicht im Detail. Fest steht aber, dass dies ein fortschreitender Lernprozess ist, der im Kindesalter beginnt. Warum sonst versuchen Babys instinktiv, nach möglichst vielen Dingen zu greifen? Doch nur, um ihre Umwelt buchstäblich besser zu erfassen, sagen Forscher.
Oft setzen Berührungen auch schwierige Gefühle frei
Doch weit mehr als der Seh- oder der Geruchssinn ist der Tastsinn mit der Psyche verwoben: „Es gibt kein Säugetier, dass sich ohne Berührung adäquat entwickelt“, sagt der Psychologe Martin Grunwald, Leiter des Haptik-Labors der Uni Leipzig dem Wissenschaftsmagazin GEO. „Es überlebt den Mangel an Kontakt nicht.“ Eine zarte Massage am besonders empfindsamen Oberbauchs von Babys kann beruhigen und Bauchweh lindern. Denn am Übergang vom Brustkorb zur Magengrube laufen diverse Nervenbündel zum Sonnengeflecht oder Solarplexus zusammen. Ein Schlag dorthin kann Schwindel auslösen oder bewusstlos machen; Massagen hingegen oder ein warme Hand an dieser Stelle lösen Wohlgefühl aus.
Oft setzen Berührungen auch schwierige Gefühle frei, die lange unterdrückt oder vermisst worden sind. Diese Erfahrung machen etwa Masseure oder Physiotherapeuten. Nicht selten verhärten nicht aufgearbeitete Emotionen die Muskeln im Nacken- oder Rückenbereich. Auch Körperpsychotherapeuten erleben immer wieder, dass Menschen tiefes Wohlgefühl verspüren, wenn sie an Bauch, Schulter oder Rücken mit der Hand berührt werden – einfach, weil es für sie angenehmen Stellen sind. Oder aber sie fangen an zu weinen – weil sie jahrelang ohne diese Berührung auskommen mussten.
Sinnesforscher sehen die zunehmende Berührungslosigkeit mit Besorgnis
Tatsächlich berühren die heutigen Menschen einander immer weniger. Das Fühlen wird vernachlässigt – etwa weil ein zu enger Körperkontakt oft nicht gesellschaftsfähig ist. Wobei es regionale Unterschiede gibt. Generell gilt: Menschen aus südlichen Ländern berühren sich häufiger als Menschen im Norden. 45 Zentimeter, haben Wissenschaftler herausgefunden, so nahe dürfen einem Deutschen fremde Menschen kommen, damit er sich nicht belästigt fühlt.
Sinnesforscher wie Grunewald sehen diese Entwicklung mit Besorgnis – könnte die Berührungslosigkeit dazu führen, dass psychische Erkrankungen weiter zunehmen. So hat der Psychologe einen Zusammenhang zwischen mangelndem Körperkontakt in der Kindheit und einer Magersucht im Jugendalter feststellen können.
Nicht umsonst ist in den vergangenen Jahren ein riesiger Markt der sogenannten Berührungsindustrie entstanden – mit Masseuren, Physiotherapeuten, Yoga- und Gyrotonic-Trainern und Spa-Therapeuten. Sogar manche Heiler in der Alternativmedizin versuchen, durch Handauflegen Schmerzen zu lindern – auf wissenschaftlich dünnem Boden. Sie versuchen ihren Kunden zu geben, was das moderne Leben einem oft vorenthält: Zeit, Nähe, Haut zum Anfassen.
Ärzte erfahren schon am Händedruck viel über ihre Patienten
Wie groß die Dosis an täglicher Berührung ausfallen muss, kann niemand sagen. Hinweise können nur Studien bei Menschenaffen geben: Schimpansen verbringen bis zu einem Fünftel ihrer wachen Zeit damit, ihre Genossen zu lausen.
Zunächst genügt vielleicht erst einmal der einfache Handschlag: Schon solche Berührungen transportieren eine Menge an Information. Einem erfahrenen und aufmerksamen Mediziner kann ein Händedruck manches über den Zustand eines Patienten verraten: Ist er schüchtern? Schwitzt er vor Aufregung? Ist er kraftlos oder schlecht durchblutet?
Ärzte, die aus Hygienegründen Patienten nicht die Hand nicht reichen wollen, verzichten auf ein gutes Diagnose-Instrument. Verstehen mag das so mancher Mediziner wie der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik nicht: „Das Verweigern des Händeschüttelns wegen irgendwelcher Keime halte ich für Unfug, schließlich gibt es Desinfektionsmittel.“